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«Jeder Schritt zählt»

Interview mit Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari

Wer sich regelmässig bewegt und Sport treibt, lebt gesünder. Doch welche Aktivitäten tun gut – und was sollte man eher vermeiden? Die Altersmedizinerin Heike Bischoff-Ferrari gibt Auskunft.

Interview: Vanessa Simili

Warum ist Bewegung und Sport im Alter wichtig?
Heike Bischoff-Ferrari: Weil Bewegung direkte Auswirkungen darauf hat, wie gesund wir sind und wie wir biologisch älter werden. Wir wissen heute, dass Bewegung direkt schützende Mechanismen stimuliert, die unseren biologischen Alterungsprozess verlangsamen. Dazu haben wir robuste Belege aus der Forschung, dass Bewegung das Risiko einer Vielzahl von altersbezogenen chronischen Erkrankungen, wie Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Krebs, Demenz, Depression und Osteoporose, senkt. Dies wird durch die Ergebnisse einer grossen Untersuchung mit über 36’000 Menschen, die mit Schrittzählern über viele Jahre verfolgt wurden, weiter gestützt. Die Studie zeigte, dass jeder Schritt zählt und dass Menschen, die die empfohlenen 6’000 bis 8’000 Schritte am Tag gehen, ihre frühzeitige Sterblichkeit um 40 Prozent senken können.

Bewegung in Gesellschaft unterstützt auch unser Gehirn, weil wir Bewegung in der Regel mit Interaktion verbinden.

Das betrifft die Ausdauer. Und bezüglich Kraft?
Für den Erhalt der Muskelkraft und des Gleichgewichts ist neben dem Ausdauertraining (Gehen) wichtig, die Muskelkraft in Armen, Beinen und Rumpf zu stärken und mit Gleichgewichts- und Koordinationsübungen zu verbinden. Dafür sind Yoga oder Pilatesübungen, oder GRUUVE (www.GRUUVE.ch), sowie Sportarten wie Tanzen, Dalcroze Rhythmic, Tai Chi oder Tennis sehr wertvoll. Wir empfehlen heute, Bewegung zu naschen! Dafür braucht es keinen Trainingsanzug. Ein tolles Krafttraining für die Beine ist zudem das Treppensteigen. Dazu stärkt es unsere Ausdauer und ist ein ideales Herz-Kreislauftraining.

Wo ist besondere Vorsicht gefragt?
Besondere Vorsicht gilt der Verletzungsgefahr. Wenn wir älter werden, nimmt unsere Reaktionsfähigkeit ab. Gelenke und Sehnen sind anfälliger für Verletzungen. Daher sollten Sportarten gewählt werden, die sicher sind und dem jeweiligen Trainingszustand entsprechen. Es ist auch wichtig zu wissen, dass etwa ein Drittel aller Menschen ab 65 an Gelenkschmerzen im Rahmen einer Arthrose leiden. Hier ist zu beachten, dass Arthroseschmerzen am besten durch Muskelkräftigung ums betroffene Gelenk vermindert werden können. Bei Immobilität hingegen nehmen die Schmerzen zu.

Was gilt es bei diesen Schmerzen konkret zu tun?
Eine Instruktion durch eine Fachperson im Bereich Physiotherapie ist wichtig. Falls ein Gelenk nach einer intensiven sportlichen Belastung akut Schmerzen bereitet, sollte eine entsprechende Ruhephase folgen. Diese sollte jedoch nicht anhalten.

Welche Aktivitäten tun im Alter besonders gut?
Bewegung verbunden mit sozialer Interaktion ist besonders wertvoll. Wir wissen heute, dass Einsamkeit uns schneller älter werden lässt und Krankheiten wie Demenz begünstigt. Einsamkeit, so konnte in der Forschung gezeigt werden, ist ein grösserer Risikofaktor für unsere Gesundheit als 15 Zigaretten am Tag, sechs alkoholische Getränke, Übergewicht und Immobilität. Daher ist Bewegung in Gesellschaft ideal.

Worin liegt denn der Vorteil?
Bewegung in Gesellschaft unterstützt unser Gehirn, weil wir in der Regel Bewegung mit Interaktion verbinden. Jedes Gespräch stärkt die Ressourcen unseres Gehirns und entspannt uns. Dazu wissen wir, dass Bewegung die «Neuroneogenese», die Neubildung neuer Nervenzellen im Gehirn, stimuliert.

Worauf sollten ältere Sportlerinnen und Sportler speziell achten?
Spass haben an der Bewegung, in Gesellschaft trainieren, und ein vielseitiges Training, welches neben Ausdauer auch Kraft, Gleichgewicht und Koordination einbezieht, sind die zentralen Elemente. Wichtig ist auch, eine Ruhephase einzuhalten, wenn man spürt, dass der Körper Regeneration braucht. Aber dann wieder auf die Beine Kommen! Dazu ist insbesondere bei älteren Sportlerinnen und Sportlern wichtig, eine optimale Muskelgesundheit auch über eine gesunde eiweissreiche Ernährung zu unterstützen.

Welche Rolle spielt das Eiweiss?
Eiweiss ist der Baustein unserer Muskulatur. Idealerweise sollte zu jedem Essen eine gesunde Eiweissquelle geplant werden. Aktive ältere Menschen haben anhand heutiger Empfehlungen einen höheren Eiweissbedraf von minmal einem Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht, und optimal 1.2 bis 1.4 Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht. Gesunde Eiweissquellen sind Nüsse, Hülsenfrüchte, weisses Fleisch, Molke und ein Ei pro Tag.

Wie lässt sich Bewegung in den Alltag integrieren?
Es geht darum im Alltag «Bewegung zu naschen» im Wissen, dass «jeder Schritt zählt» und «jede Treppe ein Geschenk ist». Dazu zeigen neue Forschungserkenntnisse, dass wir mit jedem Schritt ein schützendes Signal an die Mechanismen unserer biologischen Alterungsprozesse senden und damit den biologischen Alterungsprozess verlangsamen. In unserer DO-HEALTH Studie mit über 2’000 Menschen im Alter von 70 und darüber aus fünf Ländern hat eine einfaches Trainingsprogramm mit Thera-Band-Kraftübungen über drei Jahre, und in Kombination mit einem täglichen Supplement von einem Gramm Omega-3 aus Algen und einem täglichen Supplement 2000 IE Vitamin D, das Krebsrisiko um 61 Prozent und frühzeitige Gebrechlichkeit um 39 Prozent gesenkt.

Was, wenn Bewegung aus körperlichen Gründen schwierig wird? Was sind die Folgen? Was kann man stattdessen tun?
Gerade wenn man spürt, dass Bewegung schwieriger wird, ist es wichtig, nicht aufzugeben. Alternativ baut unsere Muskulatur weiter ab. Dagegen zu halten mit jedem Schritt und einfachen Kraftübungen für Arme und Beine, auch im Sitzen, ist zentral, um die Autonomie zu bewahren. Wenn sich Einschränkungen bereits eingestellt haben, braucht es ein Altersmedizinisches Assessment, um alle Faktoren, die unsere Mobilität erhalten, optimal zu stärken. Wünschenswert ist, ein regelmässiges Monitoring der Funktionen, die für uns Menschen am wichtigsten sind, umzusetzen, d.h. Mobilität, Kognition, mentale Gesundheit, Sehen, Hören, Vitalität/Ernährung.

Wie halten Sie persönlich es mit Sport und Bewegung?
Ich nasche Bewegung! Dazu versuche ich, täglich zehn Minuten Yoga zu machen plus ein einfaches Krafttraining. Im letzten Sommer war ich sooft wie möglich und bis in den Spät-Herbst abends Schwimmen im Zürichsee. Das war wunderbar!

Diesen Sommer werden Sie dem Ruf der Universität Basel folgen, um den Lehrstuhl und das Departement Altersmedizin zu übernehmen. Also kein Schwimmen mehr im Zürichsee?
Ich werde in Basel den «Schweizer Campus für Gesunde Langlebigkeit» aufbauen und freue mich, erstmals im Rhein schwimmen zu gehen.

Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari, MPH, DrPH

  • Lehrstuhlinhaberin Geriatrie und Altersforschung UZH (bis Juni 2025)
  • Lehrstuhlinhaberin Altersmedizin elect., Universität Basel, Schweiz (Start Juli 2025)
  • Departementsleiterin elect., Universitäre Altersmedizin Felix Platter, Basel (Start Juli 2025)
  • Koordinatorin Global Health Span Extension Consortium
  • Koordinatorin DO-HEALTH
  • Stiftungsrätin Pro Senectute Kanton Zürich

Weltweites ICOPE-Programm: Pionierarbeit der ProSenectute Kanton Zürich
Pro Senectute Kanton Zürich führt in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Heike Bischoff-Ferrari an der Universität Zürich und Universität Basel, Departement Universitäre Altersmedizin Felix Platter, eine Pilotstudie durch. Im Rahmen des WHO-Programms ICOPE (Integrated Care for Older People) verfolgt die Studie das Ziel, die funktionelle Gesundheit und Selbstständigkeit älterer Menschen im Kanton Zürich zu fördern. Das Programm beinhaltet im Wesentlichen ein Monitoring und eine integrierte Beratung zur Stärkung der sechs wichtigen Funktionen: Mobilität, kognitive Fähigkeiten, mentale Gesundheit, Sehen, Hören sowie Ernährung und allgemeine Vitalität. Das Programm wurde entwickelt, um funktionelle und damit gesundheitliche Einschränkungen bei älteren Menschen frühzeitig zu erkennen und präventiv entgegenzuwirken. «Ziel ist, in Zusammenarbeit mit dem neuen Schweizer Campus für gesunde Langlebigkeit das Programm auch in anderen Kantonen aufzubauen, um allen Menschen in der Schweiz einen Zugang zu ermöglichen», so Heike Bischoff-Ferrari, Stiftungsrätin der Pro Senectute Kanton Zürich. Weitere Informationen unter www.icope-schweiz.ch